Als Spielleiter ist es deine Aufgabe, zu erzählen.

Die Leute, mit denen du spielst, haben aber auch ihren Anteil daran, in Form ihrer Spielercharaktere, die nicht nur Teil dieser Welt sind, sondern sie in einem großen Maße mit beeinflussen. Ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf die Welt um sie herum und ihre Hintergrundgeschichte hat ebenso ihre Spuren in eurer Welt hinterlassen, so klein diese auch sein mögen. All das glaubhaft dar zu stellen, sodass diese Geschichten sich tatsächlich wie Auswirkungen von Handlungen in einer realen Welt anfühlen, ist eine Kunst für sich.

Wie kannst du diese Kunst also meistern?

Auch wenn die Spielenden und du Autoren der Geschichte seid – der wichtigste Teil liegt bei dir. Wenn sich die Welt, in der ihr spielt, nicht lebendig anfühlt, bleibt jeder Spieleabend hinter den Erwartungen zurück. Damit sind die Spielenden dann nicht zufrieden und du mit ziemlicher Sicherheit auch nicht. Es ist also nur ihnen und auch dir selbst gegenüber fair, wenn du deine Spielwelt mit Leben füllst und deinen Mitspielerinnen und Mitspielern so das Gefühl gibst, tatsächlich etwas verändert zu haben.

Rufsystem und Konsequenzen

Das ist auch schon der erste Tipp, den ich dir dafür mit auf den Weg geben möchte: Sorge dafür, dass die Spielenden sich der Konsequenzen ihrer Handlungen bewusst werden, im guten wie im schlechten.

In vielen RPGs wird das mit einem Rufsystem geregelt. In Baldurs Gate beispielsweise reicht der Ruf der Gruppe von 1 (sehr schlecht) bis 20 (sehr gut), abhängig von den getroffenen Entscheidungen bei bestimmten Quests, Spenden in Tempeln, Diebstählen und so weiter. Je höher der Ruf, desto billiger sind beispielsweise die Preise bei Händlern. Gleichzeitig reagieren die NPCs der Gruppe auf den Ruf abhängig von ihrer Gesinnung, sodass gute Charaktere den Spieler bei gutem Ruf loben, wohingegen böse Charaktere ihr Missfallen zum Ausdruck bringen.

Andere Spiele, Fallout zum Beispiel, unterscheiden einen allgemeinen und einen spezifischen Ruf bei bestimmten Fraktionen, die sich zum Teil gegenseitig bedingen, beispielsweise weil zwei Gruppen als verfeindet zählen. Guter Ruf bei diesen Fraktionen führt in diesem Fall zu bestimmten Boni, exklusiven Missionen oder besonderen Gesprächsoptionen im Verlauf des Spiels.

Ein solches System ist ein guter Anfang, aber natürlich etwas einseitig und unflexibel. Zwischenmenschliche (-elfische, -orkische…) Beziehungen sind kein einfaches Punktesystem, in das man gute oder schlechte Taten hineinsteckt und dafür bestimmte Goodies bekommt. Jede Person hat ihre eigene Agenda und diese deckt sich nicht immer mit dem der Fraktion, der sie angehört. Solche Zugehörigkeiten können auch rein nominell oder aus politischem Kalkül getroffen worden sein. Und nur weil eine Person nützlich für die Gruppierung ist, der man angehört, muss das nicht heißen, dass man sie auf persönlicher Ebene mag oder mit ihren Methoden einverstanden ist. Was eine Person für „die Gruppe“ getan hat, ist oft abstrakt und viele erinnern sich eher daran, wie die Person ihnen gegenüber persönlich war. Im Guten wie im Schlechten.

Das heißt natürlich nicht, dass Helden- oder Missetaten für eine Fraktion überhaupt nicht ins Gewicht fallen dürfen. Ein Negativbeispiel hier wäre Skyrim, wo man theoretisch jeder Fraktion angehören kann, ohne irgendwelche negativen Auswirkungen davon zu spüren. In diesem Spiel sind die Reaktionen auf den Spielercharakter sehr statisch und kaum eine Handlung hat irgendwelche weitreichenden Konsequenzen – außer solche, die vom Plot vorgesehen sind. Pen and Paper hat den Vorteil, dass es wesentlich flexibler ist als jedes Computerspiel und fein nuancierte Reaktionen erlaubt, die in solche Spielen einfach nicht eingepflegt werden können.

Ideen umsetzen

Was heißt all das nun konkret für dich als Spielleiter?

Wie schon gesagt sind Charaktere in erster Linie Individuen und erst in zweiter Linie Angehörige einer Fraktion. Jedenfalls die Meisten. Das heißt auch, dass Taten, die zwar den Vorschriften ihrer Gruppe entsprechen, sie aber nicht persönlich betreffen, zwar wahrgenommen, aber weniger geschätzt werden, als kleinere, persönliche Gesten.

Stell dir vor, dass deine Gruppe fünfzig Orks getötet hat, um sich bei einer Gruppe gut zu stellen, die Orks hasst. Sie würde das sicher respektieren und die Gruppe dafür wertschätzen, wenn die Gruppe aber ein Mitglied dieser Fraktion vor einem Orküberfall rettet und dabei freundlich zu ihm ist, wird das deutlich größere Auswirkungen haben, auch wenn dabei vielleicht nur zwei Orks zu Tode kommen.

Diese Person wird anderen davon erzählen, was die Gruppe getan hat und das wird sich herumsprechen.

Andererseits gilt dasselbe natürlich auch, wenn die Gruppe einem Mitglied dieser Fraktion aktiv schadet. Dann können sie zwar sicher noch ein paar Zugeständnisse erreichen, indem sie Orks töten, aber dass sie einem Mitglied aktiv geschadet haben, wird trotzdem schwerer wiegen, insbesondere wenn diese Person hohes Ansehen innerhalb der Fraktion genießt.

Wenn sich Leute mit einem gemeinsamem Ziel zusammenfinden, dann entstehen dabei persönliche Bindungen zueinander. Diese müssen nicht immer positiv sein, aber sie wiegen trotzdem oft schwerer als das abstrakte Ziel, unter dem man sich versammelt hat. Das gilt sicher nicht für alle Personen, aber doch für die meisten und du solltest es in deinem Spiel bedenken.

Die Spielercharaktere haben ihre Motivationen, Dinge zu tun. Von diesen wissen die NPCs in deiner Welt natürlich nicht immer und das kann zu Missverständnissen führen. Viele Spielleiter vergessen aber, dass dasselbe auch umgekehrt gelten kann.

Nichtspielercharaktere sind, im Idealfall, nicht einfach nur statische Questgeber, die drei vorgefertigte Sätze abspulen und Geld fallenlassen, wenn ein Spielercharakter sie erschlägt.

Nichtspielercharaktere sind ebenso Persönlichkeiten wie die Spielercharaktere, mit eigenen Ambitionen, Beweggründen und Wünschen.

Niemand verlangt von dir, jeden Händler auf der Straße gleich zu einer voll ausgestalteten Persönlichkeit zu entwickeln, aber schon einige wenig relevante Merkmale helfen seh dabei, diese Person mit Leben zu füllen. Vielleicht schwitzt der Waffenhändler in der nächsten Stadt stark, obwohl es nicht sonderlich warm ist, die Rüstungsschmiedin hat markante Sommersprossen und ein leichtes Lispeln oder die Palastwache ist ausgesprochen eitel, was ihre Rüstung anbelangt.

Für solche Merkmale kannst du dir zum Beispiel eine kleine Tabelle machen und die darin aufgeführten Eigenschaften NPCs nach Bedarf zuweisen. Idealerweise machst du etwa ein dutzend Merkmale pro Spieleabend und recyclest diejenigen, die nicht benutzt worden sind. Sie können sich natürlich zum Teil auch wiederholen, aber das sollte nicht zu häufig passieren und dann in unterschiedlichen Variationen vorkommen.

Das ist natürlich eher ein Vorgehen für einfache NPCs ohne größere Relevanz. Wichtige Charaktere solltest du idealerweise genau so umfangreich erstellen, wie deine Spieler ihre Charaktere, das heißt mit Werten, einer detaillierten Hintergrundgeschichte und allem, was dazugehört. Auch ihnen kannst du natürlich kleine Eigenheiten geben, aber damit deine Welt sich wirklich lebendig anfühlt, sollten diese Eigenheiten ihre Gründe haben.

Außerdem sind diese wichtigen NPCs noch in einer anderen Beziehung wie Spielercharaktere: Deine Spielenden müssen nicht alles über sie wissen. Es hilft tatsächlich sehr, wenn du dir für einige ihrer Beziehungen, Eigenarten oder Fähigkeiten Geschichten überlegst, die die Spielercharaktere nie (oder nur sehr schwierig) erfahren werden. Das hilft dir auch dabei, in unerwarteten Situationen mit diesen Charakteren angemessen zu reagieren. Es muss nicht einmal sonderlich viel sein, was du im Hintergrund definiert hast, aber schon ein paar Sätze können hier eine große Wirkung haben.

Ein zusätzlicher Tipp, den ich aus Erfahrung nur weitergeben kann, ist zudem folgender: Die Wortwahl ist wichtiger als der Tonfall. Ich kenne viele Leute, die versuchen, jedem Charakter eine einzigartige Stimme zu geben. Wenn du das kannst, dann ist das natürlich ein Bonus, aber ich persönlich kann das beispielsweise (noch) nicht. Trotzdem kann man die meisten meiner Charaktere sofort erkennen, wenn sie sprechen, weil sie verschiedene Arten haben, Dinge aus zu drücken. Das muss kein Akzent sein, häufig reichen schon kleine Phrasen, die ein Charakter gerne benutzt oder ein Wort, was inflationär häufig gebraucht wird. Aber schreib dir solche Dinge unbedingt auf – nicht, dass du sie vergisst.

Die große, weite Welt

Für deine Welt gilt übrigens dasselbe wie für deine Charaktere: Die Charaktere müssen nicht alles über sie wissen.

Das gilt für Dinge wie politische Fraktionen, die Wahrheit hinter bestimmten Legenden aber auch ganz konkret, was in ihr passiert. Die richtige Balance bei so etwas zu finden ist schwierig, aber: Auch wenn bestimmte Ereignisse genau so lange warten wie die Spielercharaktere brauchen um sich vor zu bereiten, so werden viele Ereignisse auch unabhängig von der Gruppe stattfinden. Der Dorfschmied heiratet seine Angebetete, auch wenn die Spielercharaktere ihm nicht helfen, den Ring dafür zu schmieden. Politische Bündnisse werden geschlossen oder gebrochen, selbst wenn es nicht für den Plot relevant ist. Oder gerade dann, wenn es das ist, aber vollkommen ohne Zutun der Spielenden. Und manche dieser Dinge interessieren sie vielleicht nicht sonderlich, aber sie geschehen trotzdem – und haben damit vielleicht Auswirkungen auf Charaktere, die die Spielenden dann wiederum interessieren. So ist das Leben.

Du musst hier natürlich nicht gleich die Ausmaße eines J.R.R. Tolkien annehmen. Ein paar wenige Sätze reichen auch hier vollständig aus. Aber sie lassen deine Welt lebendiger wirken, indem sie den Spielenden klar machen: Sie sind trotz allem nicht der Mittelpunkt dieser Welt. Auch wenn sie Helden sind, gibt es Dinge, die ohne sie geschehen werden. Gärten verdorren im Winter, Kinder werden erwachsen und Leute ziehen um.

Manchmal werden deine Spielenden die Bedeutung dieser kleinen Details vielleicht überschätzen, aber du kannst in diesem Fall sicherlich ein wenig improvisieren. Oder, falls sie sich in etwas zu sehr reinsteigern, auf ein paar Tricks zurückgreifen, um sie davon ab zu bringen, einer unwichtigen Spur zu folgen ohne sie dabei gleich zu railroaden. Einige Tipps habe ich für dich in diesem Artikel zusammengefasst:

Dynamisches Storytelling – Wie du als Spielleiter Railroading (beinahe) vermeidest

Das macht Sinn(e)

Um deine Beschreibungen anzureichern hilft es außerdem, wenn du dir immer wieder eine Sache in Erinnerung rufst: Die Spielercharaktere haben mehr als nur ihre Augen. Sie können hören, riechen, fühlen, in einigen Ausnahmefällen vermutlich sogar schmecken. Mit diesen Eindrücken zu spielen, erhöht die Lebendigkeit deiner Welt ungemein.

Wenn deine Spielenden also in eine neue Stadt kommen, dann erzähle ihnen nicht nur, dass sie die Dächer der Stadt sehen, ihre Straßen und Bewohner. Beschreibe ihnen, was sie hören. Geschäftiges Treiben. Rufende Kinder, bellende Hunde, das Krachen von Schmiedehämmern und Gesänge aus der nächsten Taverne. Viele Seiten bieten mittlerweile Ambience an, ich beispielsweise nutze gerne Tabletopaudio (Link), das für nahezu jede Situation passende Hintergrundgeräusche liefert.

Gerüche sind ebenso prominent. Ob es angenehme Gerüche sind, wie beispielsweise ein Garten oder Pflastersteine nach Regen oder unangenehme wie der Gestank nach dem Schmutz der Straße oder schwefelige Aromen nahe eines Vulkans.

Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, all diese Dinge können Erwähnung finden, wenn sie nur prominent genug sind. Der für diese Beschreibungen unwichtigste Sinn ist vermutlich der Geschmackssinn, aber auch hier gibt es sicherlich die ein oder andere Ausnahme.

Dieser Tipp gilt übrigens auch für NPCs. Manche Charaktere haben einen auffallenden Geruch, ob es ein nobler Herr mit einem angenehmen Parfüm ist oder eine untote Hexe, die ungefähr so gut riecht, wie sie aussieht. Eine reich geschmückte Tänzerin wird bei jeder Bewegung leise klingeln, ein voll bewaffneter Zwerg bei jedem Schritt ein lautes Klappern erzeugen. Reichere deine Beschreibungen mit solchen Details an und deine Spielenden werden sich sehr viel besser in die Situation hineinversetzen können, die du ihnen gerade erzählst.

Zum Schluss

Es braucht sicherlich einige Zeit, bis du all diese Tipps umsetzen kannst. Und natürlich ist diese List auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Kleine Details wie Namen von Brauereien, örtliche Bauernhöfe von denen Tavernen ihre Zutaten beziehen und vieles, vieles mehr sind auch gute Mittel, deine Welt lebendiger wirken zu lassen.

Ich möchte aber nicht den Eindruck vermitteln, dass diese Tipps umzusetzen harte Arbeit sein soll. Es ist okay, wenn du nur einen davon umsetzt, denn alleine damit tust du schon sehr viel. Und wenn dieser eine Schritt erst einmal selbstverständlich geworden ist, kannst du den nächsten in Angriff nehmen.

Du wirst außerdem deine Spieler besser kennen lernen, je mehr du mit ihnen spielst und merken, worauf sie achten. Darauf einzugehen ist am wichtigsten und wenn du nur eine Sache aus diesem Artikel mitnimmst, dann möchte ich, dass es folgendes ist: Deine Beschreibungen wirken dann am lebendigsten, wenn du nicht einfach eine Checkliste abarbeitest, sondern auf deine Spielenden zugehst und ihnen das erzählst, was ihre Fantasie am meisten beflügelt. Und das lernst du nur, indem du spielst und dir selber erlaubst, nicht immer perfekt zu sein, sondern mit deinen Spielenden mit zu wachsen.

Viel Spaß beim spielen!